Page 174 - 40 Jahre Galerie Ewald Schrade - Von der Freude mit der Kunst zu leben
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Shmuel Shapiro









                          Shmuel Shapiro, dem ich ebenfalls 1975 bei der 21.
                      Jahresausstellung des Künstlerbundes Baden-Württemberg
                       im Badischen Kunstverein in Karlsruhe begegnete, tauchte
                           nach mehrfachen Einladungen im Herbst danach in
                         Kißlegg auf. Er kam und war da. Die erste Frage war:
                             „Und wo kann ich malen?“ Wir boten ihm einen
                       wunderbaren Raum im Holzhaus und eine Übernachtungs-
                       möglichkeit in den Gästezimmern der Werkkurse meiner
                          damaligen Frau Dorothea an. Er begann, prompt am
                          nächsten Tag unter dem Eindruck der Umgebung mit
                       dem Renaissance-Schloss, der barocken Kirche und dem   1924 in New Britain, Connecticut, USA geboren
                        Zellersee neue abstrakte Impressionen zu schaffen. Alle   als Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland
                       notwendigen Materialien hatte er mitgebracht. Alles war
                       wunderbar. Shapiro sagte dann: „Es gefällt mir gut, hier   1939 Kunststudium an der Art School in Hartford
                         bleibe ich“. Er hatte damals in der Schweiz etwas die   1943–1946 Armeedienst in Europa; anschliessend
                             Lust verloren und war deshalb offen für ein neues   studierte er wieder in Hartford, später in Boston,
                          Domizil. Da zumindest für kurze Zeit genügend Platz   New York, Indianapolis und schliesslich in Bloomington
                          zur Verfügung stand, hatte er sich auch fast häuslich   an der Indiana Universität als Assistent von Professor Engel
                          eingerichtet. Danach zog er nach Immenried in eine   1955 Fulbright-Stipendium für ein Studium in Paris
                       Ferienwohnung bei Bauer Karl Häfele. Um eine geplante   1957 Dozent am American Students and Artists Center
                      Ausstellung für Dezember zu machen, war es notwendig,   in Paris, es folgte ein kurzer Aufenthalt in USA, bis er
                        dass wir auch mehrfach in die Schweiz fuhren, um dort   nach Wildflecken an der Rhön übersiedelte
                          noch Bilder zu holen. Die Ausstellung sollte auch von   1964 entstanden erste Zeichnungen mit figürlichen
                        einem Buch begleitet werden, das wir in der Reutlinger   Motiven, die Verfolgung und Ausmerzung der Juden
                        Siebdruckwerkstatt von Bloch und Nestler mit Original-  während der Naziherrschaft waren das Thema. Viele
                            siebdrucken und mit Offset-Lithos bei Karl Abler in   dieser graphischen Blätter zerstörte er - wie überhaupt
                       Kißlegg gestalteten. Die Hektik war groß, was zur Folge   sein Frühwerk. Allmählich löste er sich vom Gegenständ-
                        hatte, dass Shapiro schon immer morgens um sechs an   lichen, seine Malerei wurde freier. Shapiro wechselte
                              meinem Bett stand und sagte: „Boy, wir müssen   auch öfters seinen Wohnsitz, so zog er nach Karlsruhe,
                          arbeiten!“ Dann ging es schnell mal nach Reutlingen   ins Elsass, und 1970–1971 nach Basel; in jener Zeit
                          oder in die Schweiz und so weiter. Es hat dann alles   lernte er Mark Tobey kennen, den er sehr verehrte und
                        geklappt. Die Ausstellung wurde von der Schauspielerin   bewunderte
                          und Sängerin Rosel Schaefer aus Basel eröffnet, die   1975 liess er sich endgültig in Immenried im Allgäu
                                              Shapiro-Werke sammelte.    nieder; bis zu seinem Tode malte er wie ein Besessener

                                                                         1983 in Ravensburg verstorben







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